Magnetic Scrolls

Magnetic ScrollsAnita SinclairFür viele Spieler war Infocom DER Textadventurespezialist. Zur Zeit der Entstehung gab es keinen Spielehersteller, der Infocom tatsächlich das Wasser abschöpfen konnte. 1984 formierte sich jedoch ein neues Unternehmen unter den Gründungsmitgliedern Anita Sinclair, Ken Gordon und Hugh Steers. Das britische Softwarehaus, mit der Zentrale in London, begann ihre Karriere mit der Entwicklung von Software für den Sinclair QL. Ken Gordon und Hugh Steers lernten sich bereits auf der Schule in Woolwich kennen. Beide hatten ein Faible für Dungeons&Dragons, wie so viele Programmierer aus dieser Zeit. Ebenfalls begeisterten sie sich für Zork aus dem Hause Infocom. Hugh entwickelte zu dieser Zeit seinen eigenen ersten Parser auf einem TRS-80, während Ken sich weniger damit beschäftigte und lieber seine Freizeit mit einem Mädchen namens Anita Sinclair verbrachte. Ken und Anita verbrachten immer mehr Zeit miteinander und erkannten, dass Computerspiele ein interessantes Geschäftsfeld sein könnte. Sinclair veröffentlichte die ersten Daten über ihren neuen 16bit-Computer Sinclair QL und beide stimmten darin überein, dass mit der Veröffentlichung eines neuen Modells auch die Möglichkeiten für ein junges Unternehmen vorhanden wären. Anita selbst hatte die nötigen Kontakte und zudem das Kleingeld zum Aufbau einer Firma. Ken wurde als erster Mitarbeiter, dank seiner Kenntnisse bezüglich der Programmierung von Parsern.

Rob StegglesIm Sommer 1983 mieteten die Drei im Südosten Londons ein Büro und suchten die Hilfe von Rob Steggles. Dieser sollte ihnen ein Szenario schreiben, auf dem das erste Spiel basieren würde. Steggles hatte genug Zeit, bevor er im Sommer des gleichen Jahres die Universität besuchen konnte und begann die Hintergrundgeschichte zu "The Pawn" zu schreiben. Jedoch entwickelte er die Geschichte nicht allein, vielmehr saßen sie zu viert stundenlang beisammen und überlegten sich die bizarrsten Ideen. Auf übergroßen DIN A1 Blättern schrieben sie dabei alle Einfälle auf und befestigten sie an der Wand, um nochmal dann in Ruhe die Ideen bewerten zu können. Wurde an diesen nichts mehr verändert setzte sich Rob Steggles und begann daraus eine Rahmenhandlung zu konstruieren. Allerdings änderte sich im Laufe der Programmierung einiges und so manches Rätsel wurde umkonstruiert um die Handlung aufrecht zu erhalten.

Einige dieser Ideen aus den ersten Gedankenspielereien wurden im Laufe der Zeit typisch für Magnetic Scrolls. Viele Spiele aus diesem Haus setzten auf etliche Klischees, die allerdings oft in entgegengesetzter Weise dargestellt oder verwendet wurden. Der strahlende Held war im Grunde nicht sehr helle, die Prinzessin hatte Gewichtsprobleme und noch etliche mehr.

Im Gegenzug spielten sie viele Titel der Konkurrenz und ärgerten sich über Parser, die ständig wiederholten, das dieser oder jener Befehl nicht funktionierte. "Du kannst das nicht untersuchen" war die häufigste Phrase, die sie lesen mussten und Magnetic Scrolls entschloss sich, dass dies bei ihren Spielen nicht passieren würde. Folglich wuchsen die eigenen Spiele im Umfang erheblich an, versuchten sie doch wirklich alles innerhalb der Spielwelt zu beschreiben, was in den Texten, die das Programm dem Spieler zur Orientierung gab, beschrieben war. Untersuchte man die eigene Hosentasche bekam der Spieler folgenden Text: Loser Beutel, der in die Hose gesetzt wurde. Kens Lieblingsbeschreibung war allerdings die der Karotte: "Ein konisches, oranges Gemüse, weisst Du denn gar nichts?"

Das Unternehmen bemühte sich, dass die Adventures mehr als einen Lösungsweg bereithielten: das Spiel wurde dadurch dynamischer und hatte auch bei einem zweiten Durchgang neues zu bieten. Zudem sollte das auch Spieler, die ein Rätsel nicht lösen konnten, motivieren an anderer Stelle das Problem in den Griff zu bekommen.
Schlussendlich war Magnetic Scrolls darauf bedacht, jedem Charakter seine eigene Sprechweise zu gestatten. In vielen anderen Textadventures wurde zwar Wert auf die Geschichte gelegt, die Personen jedoch besaßen alle die gleiche Sprechweise. Hier setzte man an und entwickelte für jede Person einen eigenen Sprachstil und intensivierte das Spielerlebnis ungemein.

The PawnNachdem Steggles seinen Teil zu The Pawn beigetragen hatte und endlich die Universität besuchte verlor er keinen Gedanken mehr an das Spiel. Erst als er in den Weihnachst- und später in den Osterferien seine Freunde besuchte bemerkte er den grundlegenden Unterschied zwischen den Spielen der Konkurrenz und Magnetic Scrolls: Anita und ihre Männer hatten in dieser Zeit Bilder des Künstlers Geoff Quilley in das Spiel integriert und gaben dem Spiel (und der Firma) eine besondere Note. Statt nur mittels Text die Umgebung zu beschreiben, konnte der Spieler nun auch "sehen". Das Unternehmen hatte diese Bilder erst auf dem Atari ST eingebaut, da dieser grafisch weitaus leistungsfähiger war als der Sinclair QL . Die Handlung von The Pawn spielte in der mystischen Welt von Kerovnia und man war gezwungen einen Weg zu finden diese Welt zu verlassen.

Steggles kam auch zur vorlesungsfreien Zeit im Sommer 1984 wieder zu Magnetic Scrolls, auch weil er sich nebenbei etwas Geld verdienen wollte. Ken und Anita stimmten zu, forderten aber ein echtes Fantasyszenario mit mehr Rätseln, aber weniger Charakteren (Magnetic Scrolls empfand das als zu kompliziert). Der wichtigste Punkt war jedoch, das keine Raumbeschreibung mit den Worten "Du befindest Dich..." oder "Du bist in..." beginnen sollte. Steggles stimmte zu, auch wenn er nicht begeistert war erneut ein Fantasyszenario entwickeln zu müssen. Bereits am nächsten Tag kam er mit einem Skript über vier Seiten, das bereits das fast fertige Skript zu Guild of the Thieves darstellte. Nur wenig wurde an der Story und den Puzzles geändert.

Magnetic Scrolls besaß nun zwei Szenarios, ein unfertiges Spiel, aber noch keinen Umsatz. Sämtliche Anstrengungen wurden unternommen, um zumindestens ein Produkt auf den Markt zu werfen. Erst 1985 veröffentlichten sie The Pawn, jedoch nur auf dem Sinclair QL. Diese Version kam auf zwei 3"-Disketten, entgegen der Atari ST- Version bot diese Variante keine Grafiken, zeigte allerdings einen mächtigen Parser, der dem Textadventurefan alles bot, was andere Parser vermissen liessen. The Pawn war das erste und einzige Spiel, dass Magnetic Scrolls jemals für den exotischen Computer veröffentlichte.Das gesamte Jahr 1986 nutzte Magnetic Scrolls für die Portierung des Spiels auf den Atari ST (und anderen Computern) und konnte einen Achtungserfolg landen. Später erschienen Umsetzungen für den Amiga, Amstrad CPC, Amstrad PCW, Apple II, Acorn Archimedes, C64, Sinclair Spectrum, Apple Macintosh und für die gesamten Atari 8bit- Modelle. Besonders die Amigaversion war einzigartig, bot sie die ersten digitalisierten Samples für die Titelmusik überhaupt. Zu diesem Zeitpunkt war der Amiga der einzige Computer, der dazu überhaupt fähig war.

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